Schloss Reinhartshausen - Erbacher Siegelsberg Spätburgunder Weissherbst Auslese 1976

Schloss Reinhartshausen – Erbacher Siegelsberg Spätburgunder Weissherbst Auslese 1976

Region: Rheingau, Deutschland
Lage: Erbacher Siegelsberg (steile, südwestexponierte Lage mit eisenhaltigem Löss-Lehm)
Rebsorte: Spätburgunder (Pinot Noir)
Prädikat: Auslese (Weissherbst = Rosé aus Rotweintrauben)
Alkoholgehalt: Geschätzt 7–8 %
Restzucker: Hoch (ca. 100–150 g/l), charakteristisch für Auslesen der 1970er

Sensorische Beschreibung

Farbe:
Lachsrosa mit kupfernem Schimmer und bernsteinfarbener Aufhellung am Rand – typisch für gealterte Rosé-Süßweine. Leichte Opaleszenz durch langsame Oxidation.

Nase:
Ein exotisches Bouquet aus getrockneten Erdbeeren, reifen Hagebutten und Orangenmarmelade, verwoben mit komplexen Tertiärnoten von Walnussöl, Zimtstangen und altem Parkett. Ein Hauch von Teebergen-Tee (Earl Grey) und getrockneten Rosenblättern verleiht Dufttiefe. Die Alkoholik ist nahezu unsichtbar.

Gaumen:
Opulente Süße trifft auf eine überraschend lebendige Säurestruktur. Der Einstieg erinnert an Marillenkonfitüre, eingekochte Kirschen und Honigmelone, gefolgt von einer Würzigkeit, die an Liquorice und Sandelholz erinnert. Die Textur ist seidig-kremig, getragen von der Reife der 50 Jahre alten Trauben. Die mineralische Prägung des Siegelsbergs zeigt sich im Hintergrund als graphitige Strenge.

Abgang:
Extrem lang und meditativ. Die Süße löst sich in einem Spiel aus bitteren Mandeln, Kakao-Nibs und einer salzigen Mineralität, die an Meeresbrise erinnert.

Jahrgang 1976 im Rheingau

• Klima: Einer der heißesten Sommer des 20. Jahrhunderts, mit früher Blüte und extrem früher Lese (bereits August). Die Trockenheit förderte konzentrierte, fast rosinenartige Beeren.

• Besonderheit: Spätburgunder war im Rheingau der 1970er noch eine Rarität – die Entscheidung, ihn als Weissherbst-Auslese zu keltern, zeigt experimentellen Mut.

• Terroir: Der Siegelsberg ist für seine eisenhaltigen Böden bekannt, die dem Wein eine markante Gerbstoffstruktur und mineralische Präzision verleihen.

Reifepotenzial & Lagerung

• Aktueller Zustand: Der Wein hat sein Plateau erreicht – die Säure wirkt leicht ermüdet, aber die Restzuckerkonzentration stabilisiert das Gesamtbild.

• Optimales Trinkfenster: 1990er–2010er, bei perfekter Lagerung (12–14 °C, dunkel) noch trinkbar, aber vorrangig als Zeitdokument.

• Flaschenpost: Typisch für die 1970er: schlanke Rheingau-Flaschen mit einfachem Schriftetikett und Korken ohne Kapsel (oft mit Zinnfolie umhüllt).

Bewertung & Rarität

• Qualität: ★★★★☆ (4/5 – sensorisch faszinierend, aber aufgrund des Alters mit Einschränkungen)

• Sammlermarkt: Extrem selten – vergleichbare Flaschen könnten bei Auktionen 1.200–2.500 € erzielen.

• Historische Bedeutung: Ein Unikat, das die Anfänge des modernen Rheingauer Spätburgunders dokumentiert.

Empfehlungen

• Serviertemperatur: 10–12 °C, um Oxidationsnoten zu harmonisieren.

• Dekantieren: Vorsichtig dekantieren, um Depot abzutrennen.

• Speisenpairing: Entenbrust mit Preiselbeeren, Rehrücken mit Trüffeljus oder eine Dessertvariation mit roten Beeren und Tonkabohne.

Authentizitätshinweise

• Label: Schlichtes Design mit serifenloser Typografie

• Korken: Hochrisiko – historische Korken neigen zum Zerbröseln. Professionelles Öffnen empfohlen.

Fazit

Der 1976er Erbacher Siegelsberg Weissherbst Auslese ist ein vinarchäologisches Juwel – ein süßer Rosé aus einer Zeit, als Experimentierfreude und klimatische Extreme den Rheingau prägten. Sein Wert liegt nicht in perfekter Balance, sondern im Dialog zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit, den nur alte Weine führen können.