Dr. Pauly-Bergweiler - Bernkasteler Badstube Riesling Spätlese 1976, Mosel, Deutschland

Einleitung: Der Zenit eines Sonnenjahrgangs

Der Jahrgang 1976 an der Mosel war ein extrem warmer, sonnenreicher und trockener Jahrgang, der zu opulenten, reifen und ungewöhnlich alkoholstarken Weinen führte – eine absolute Ausnahmeerscheinung im kühlen Moselklima. Eine Spätlese aus diesem Jahr aus der renommierten Bernkasteler Badstube vom Weingut Dr. Pauly-Bergweiler verkörpert damit eine doppelte Rarität: einen voll ausgereiften, fast 50 Jahre alten Mosel-Riesling von ungewöhnlicher Fülle und eine historische Momentaufnahme eines extremen Klimaereignisses. Diese Flasche erlaubt die Frage, wie sich diese untypische Opulenz über ein halbes Jahrhundert gehalten hat.

Sensorische Beschreibung (bei guter Lagerung)

Nach 48 Jahren hat sich dieser ungewöhnlich kräftige Spätlese-Wein von seiner jugendlichen Wucht in eine reife, vielschichtige Komplexität verwandelt. Die charakteristische Säure der Mosel war in diesem Jahrgang weniger ausgeprägt, weshalb der Erhaltungszustand einer jeden Flasche von größter Bedeutung ist.

Farbe

• Ein intensives, tiefes Goldgelb bis Bernsteingold, mit kupfernen Reflexen. Die Farbe deutet auf hohe Extrakt- und Reifegrade hin und ist deutlich dunkler als bei einem typischen, säurebetonten Moseljahrgang gleichen Alters.

Nase

Das Bukett ist kraftvoll, reich und zeigt eine faszinierende Mischung aus alternder Frucht, deutlichen Reifenoten und einer würzigen Tiefe.

• Konzentrierte, gereifte Früchte: Aprikosenkonfitüre, eingemachte Pfirsiche, Mirabellenmus, getrocknete Ananas, eine intensive Note von Honigmelone.

• Ausgeprägte Petrol- und Reifenoten: Die Petrolnote ist stark und elegant, begleitet von deutlichen Aromen von Bienenwachs, Honigwabe und gerösteten Nüssen (Mandeln, Walnuss) – Zeichen fortgeschrittener, edler Reifung.

• Würze & Mineralik: Exotische Gewürze wie Ingwer, Safran, eine rauchige Schiefer-Mineralität der Badstube und eine leichte blumige Unterlage (Akazie, Lindenblüte).

• Die Nase kann bereits eine gewisse "Madeirisierung" (eine sherry-ähnliche Oxidationsnote) zeigen, die bei diesem Jahrgang aufgrund der geringeren Säure nicht ungewöhnlich, sondern charakteristisch ist.

Gaumen

Am Gaumen bestätigt sich der Eindruck eines gewichtigen, aber durchaus eleganten Weines.

• Textur: Fett, ölig und von voller, samtiger Dichte. Die Restsüße ist stark präsent, wirkt aber aufgrund der Reife und der eingebundenen Säure nicht klobig, sondern als wärmende Fülle.

• Säure: Der entscheidende Faktor für die Bewertung. Sie ist deutlich geringer als in klassischen Moseljahren, kann aber bei bester Herkunft und Lagerung noch belebend und tragend sein. Fehlt sie, wirkt der Wein schwer und eindimensional.

• Geschmack: Eine kraftvolle Wiedergabe der Nasenaromen: Honig, reife Aprikose, Petrol, Wachs und exotische Würze.

• Alkohol: Mit wahrscheinlich über 10% vol. für eine Spätlese ungewöhnlich hoch – ein Markenzeichen des Jahrgangs 1976.

• Abgang: Sehr lang und anhaltend, dominiert von den Nachhall-Aromen Honig, gerösteter Nuss und einer leicht bitteren, würzigen Note. Der Abgang kann leicht wärmend sein.

Jahrgang & Lage

Jahrgang 1976 an der Mosel

• Ein Jahrhundert-Sonnenjahrgang, vergleichbar mit 1959 oder 2003. Extreme Hitze und Trockenheit führten zu sehr reifen Trauben mit hohem Zucker- und Extraktgehalt bei relativ niedriger Säure. Die Weine waren in der Jugend opulent, schwer und ungewöhnlich alkoholisch für die Mosel. Ihre Langlebigkeit war lange umstritten; die besten Beispiele haben sich jedoch erstaunlich gut gehalten, entwickelten aber einen anderen, fast rheingauähnlichen Reifestil.

Lage Bernkasteler Badstube

• Die Großlage mit ihren devonischen Schieferböden konnte auch in diesem warmen Jahr die typische rauchig-mineralische Grundnote liefern, die dem Wein trotz aller Fülle Struktur und Terroir-Charakter verleiht.

Trinkreife & Risikoanalyse

Aktuelle Trinkreife

Der Wein hat sein Reifeplateau seit vielen Jahren erreicht. Er entwickelt sich nicht mehr weiter, sondern zeigt nun sein endgültiges, reifes Profil. Der ideale Zeitpunkt für die Verkostung ist jetzt, bevor die verbliebene Säure vollends erschöpft ist.

Kritische Risikofaktoren

1. Säuremangel: Das größte Risiko. Fehlende Säure lässt den Wein müde, flach und honigartig-süß wirken, ohne Spannung.

2. Überoxidation (Madeirisierung): Bei diesem Jahrgang ein häufiges und oft sogar charakteristisches Merkmal. In Maßen kann es die Komplexität erhöhen, in Übermaß den Wein sherryartig und unattraktiv machen.

3. Kork & Lagerung: Wie immer entscheidend.

Bewertung & Empfehlungen

Bewertung (für eine gelungene, intakte Flasche): 92-94/100 Punkte

Ein faszinierendes, untypisches und historisch bedeutsames Stück Mosel-Weingeschichte. Die Bewertung würdigt seine außergewöhnliche Opulenz, überraschende Komplexität und seine Rolle als Zeitzeuge eines extremen Jahrgangs.

Empfehlungen für den Genuss

1. Behandlung: Nicht dekantieren. Vorsichtig einschenken und im Glas beobachten.

2. Serviertemperatur: 10-12°C. Etwas wärmer als einen säurebetonten Kabinett, um die Fülle zu entschleiern.

3. Glas: Ein großes Weißweinglas.

4. Passende Speisen: Aufgrund seiner Süße und Fülle ideal als Dessertwein oder zu kräftigen Aperitifs:

   • Foie gras.

   • Kräftiger Blauschimmelkäse (Roquefort).

   • Nuss- oder Mohnkuchen.

   • Allein, als kontemplativer Abschluss eines Menüs.

Fazit

Der Dr. Pauly-Bergweiler Bernkasteler Badstube Spätlese 1976 ist ein Weinologisches Kuriosum und ein Genuss für den abenteuerlustigen Kenner. Er ist kein klassischer, schwebend-leichter Mosel, sondern ein gewichtiger, sonnenverwöhnter und tief reifer Riesling, der mehr mit einem alten Rheingau oder einem Sauternes gemein haben kann als mit einem Mosel-Kabinett. Er bietet eine einzigartige sensorische Reise in einen außergewöhnlichen Jahrgang und beweist, dass auch die ungewöhnlichsten Weine bei bester Herkunft und sorgfältiger Lagerung zu großer, eigenwilliger Schönheit finden können. Ein fesselndes und lehrreiches Geschmackserlebnis.