Château Mouton Rothschild, 1er Cru Classé, Pauillac, Bordeaux 2003, Frankreich

Einleitung: Ein Mouton der Extreme

Der Château Mouton Rothschild 2003 ist ein Wein, der von einer der größten klimatischen Anomalien des modernen europäischen Weinbaus geprägt wurde: der historischen Hitzewelle des Jahres 2003. Dieser Jahrgang stellt eine absolute Ausnahme im Bordelaiser Klima dar und forderte die großen Weingüter auf extreme Weise heraus. Mouton Rothschild, bekannt für seine opulente, künstlerisch-verspielte und oft exotische Aromatik, traf in diesem Jahr auf Bedingungen, die Opulenz und Reife zwangsläufig maximierten. Der resultierende Wein ist daher kein klassischer, säuregetragener Mouton, sondern ein monumentales, sonnenverwöhntes und ungewöhnliches Geschöpf – eine faszinierende Momentaufnahme eines extremen Jahrgangs.

Sensorische Beschreibung (aktueller Zustand, ca. 2024)

Nach über 20 Jahren ist der 2003er aus seiner jugendlichen, oft überwältigenden Wucht in eine Phase beginnender Harmonisierung getreten. Er bleibt ein kraftvoller, extremer Wein.

Farbe

• Tiefes, undurchsichtiges Granatrot bis Purpur, mit nur zarten beginnenden Reiferändern. Die Farbe ist noch erstaunlich dunkel und jugendlich, ein Zeichen der extremen Extraktkonzentration.

Nase

Das Bukett ist intensiv, üppig und von einer fast überreifen, exotischen Frucht geprägt, die sich mit den klassischen Mouton-Aromen verbindet.

• Überreife, konzentrierte Frucht: Pflaumenmus, eingemachte schwarze Johannisbeeren (Cassis), getrocknete Maulbeeren, Rosinen, reife Kirschen in Likör.

• Exotische Würze & Holz: Starke Noten von Eukalyptus, Lakritze, Piment, Zedernholz und Schokolade – die typische Mouton-Signatur ist in übersteigerter Form vorhanden.

• Tertiäre Entwicklung: Erste Anzeichen von Trüffel, Tabak und Leder mischen sich ein.

• Alkohol & Hitze: In weniger perfekten Flaschen kann die Nase bereits eine wahrnehmbare alkoholische Wärme und eine leicht rosinige, überreife Note zeigen.

Gaumen

Am Gaumen ist der Wein von einer fast beängstigenden Dichte und Wucht, verbunden mit einer ungewöhnlichen Textur.

• Textur: Extrem fett, dickflüssig und samtig. Die Tannine sind reichlich vorhanden, aber sie sind oft weich, breit und etwas klebrig, anstatt die klassische, grippige Mouton-Struktur zu bilden.

• Säure: Das kritische Element. Sie ist in diesem Jahrgang naturgemäß sehr niedrig. Das Fehlen einer prägnanten Säure ist der größte Unterschied zu klassischen Mouton-Jahrgängen. Es führt zu einem weniger geradlinigen, weniger "frischen" Gesamteindruck und wirft Fragen zur ultimativen Langlebigkeit auf.

• Geschmack: Eine mächtige Bestätigung der Nase: Eine Lawine aus eingemachter schwarzer Frucht, exotischen Gewürzen und Röstaromen.

• Alkohol: Mit wahrscheinlich über 14% vol. deutlich spürbar, was dem Wein eine wärmende, fast spirituosenhafte Komponente verleiht.

• Abgang: Sehr lang, aber oft von einer schweren, süßlich-wärmenden Frucht und Alkoholwärme dominiert, weniger von mineralischer Frische oder adstringierender Tanninstruktur.

Jahrgang & Vinifikation

Jahrgang 2003 in Bordeaux

• Ein Jahrhundert-Hitzejahrgang. Extreme Temperaturen und Dürre führten zu sehr kleinen Beeren mit hoher Zuckerkonzentration, verdickten Schalen (viel Tannin) und rasch abfallender Säure. Die Weine sind berühmt-berüchtigt für ihre Opulenz, hohen Alkoholwerte und geringe Säure. Sie sind oft früh zugänglich, ihre ultimative Langlebigkeit war von Beginn an umstritten.

Antwort von Mouton Rothschild

• Das Gut musste extrem selektiv lesen, um überreife oder verbrannte Trauben auszusortieren.

• Die Vinifikation zielte darauf ab, die Extraktion zu managen, um keine zu harten, bitteren Tannine zu extrahieren.

• Der resultierende Stil ist eine Amplifikation des typischen Mouton-Charakters: noch opulenter, noch exotischer, noch weniger klassisch "Bordeaux".

Trinkreife & Lagerpotenzial – Die große Frage

Aktuelle Trinkreife

Der Wein ist bereits zugänglich und zeigt seine volle aromatische Opulenz. Viele Kenner trinken ihn jetzt, da befürchtet wird, dass die fehlende Säure zu einem vorzeitigen, flachen Niedergang führen könnte.

Entwicklungspotenzial – Kontroverse

• Optimistische Sicht: Die immense Tannin- und Extraktstruktur könnte den Wein 20-30 Jahre tragen, wobei die Frucht langsam tertiären Aromen weicht.

• Pessimistische Sicht/Pragmatische Sicht: Der Wein könnte ein "Kurvenflieger" sein – er erreicht sein Plateau früh und hält es nicht lange. Sein optimales Fenster könnte 2015-2035 sein, mit einem raschen Niedergang danach. Die fehlende Säure ist ein gravierender Mangel für die Ewigkeit.

Bewertung & Empfehlungen

Bewertung: 95-97/100 Punkte (mit Vorbehalt)

Eine außergewöhnliche Punktzahl für eine außergewöhnliche, aber unvollkommene Leistung. Die Bewertung würdigt die Konzentration, Komplexität und die meisterhafte Bewältigung der extremen Bedingungen, nicht die klassische Balance.

Empfehlungen:

1. Dekantieren: Unbedingt (mindestens 2-3 Stunden, besser mehr). Der Wein braucht viel Luft, um sich zu öffnen und seine Schwere etwas zu mildern.

2. Serviertemperatur: 16-17°C. Kühler servieren kann die Alkoholwärme etwas dämpfen.

3. Passende Speisen: Zu kräftigen, würzigen Gerichten, die seiner Wucht standhalten:

   • Duck Confit, Lamm-Curry.

   • Reife, kräftige Käsesorten (Blauchimmel, reifer Cantal).

   • Pur, als kontemplatives (wenn auch anstrengendes) Erlebnis.

Fazit

Der Château Mouton Rothschild 2003 ist ein spektakuläres Naturphänomen in Flaschenform. Er ist kein eleganter, finessenreicher Klassiker, sondern ein barocker, üppiger und kraftstrotzender Wein, der die Grenzen des im Bordeaux Möglichen auslotet. Sein Genuss ist eine intensive, vielleicht einmalige Erfahrung, aber keine, die nach der klassischen Bordeaux-Ästhetik verlangt. Er ist eine teure Wette auf die Konservierungskraft von Extrakt und Tannin ohne das übliche Säuregerüst. Für Sammler ist er ein faszinierendes historisches Dokument; für Genießer ein überwältigendes, aber nicht unbedingt jedes Mal wiederholungswürdiges Geschmacksabenteuer. Ein Mouton, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat – und vielleicht nie wieder sehen wird.